Bewertung deines Unternehmens bei Auswanderung

Was Selbstständige, Freiberufler und GmbH-Gesellschafter zu Wegzugs- und Entstrickungsbesteuerung wissen müssen

Wenn du als Unternehmer oder Gesellschafter dauerhaft ins Ausland ziehst, kann das deutsche Finanzamt so tun, als hättest du dein Unternehmen oder deine Beteiligung verkauft – obwohl gar kein Verkauf stattfindet.

Je nach Fall greift dabei:

  • die Wegzugsbesteuerung (§ 6 AStG) – wenn du Anteile an einer Kapitalgesellschaft (z. B. GmbH, UG) hältst und deinen Wohnsitz ins Ausland verlegst,

  • oder die Entstrickungsbesteuerung (§ 4 Abs. 1 Satz 3 EStG, § 12 KStG, § 1 AStG) – insbesondere bei Einzelunternehmen und Betriebsverlagerungen.

In beiden Fällen musst du gegenüber dem Finanzamt den gemeinen Wert deines Unternehmens oder deiner Beteiligung glaubhaft ermitteln und dokumentieren, um den fiktiven Veräußerungsgewinn zu bestimmen.

Wann ist eine Bewertung notwendig?

Eine Bewertung deines Unternehmens wird bei Auswanderung in zwei typischen Fällen verlangt:

1. Funktionsverlagerung (§ 1 AStG)

Wenn du den ganzen Betrieb oder wesentliche betriebliche Funktionen ins Ausland verlagerst und dort weiterführst, geht das Finanzamt von einer „Veräußerung“ aus. Diese kann steuerpflichtig sein. Sobald du dauerhaft ins Ausland gehst und dort mit derselben wirtschaftlichen Struktur weiterarbeitest, ist das Thema Unternehmensbewertung relevant.

Beispiel: Ein Software-Developer ist Einzelunternehmer, zieht in Ausland und arbeitet dort unternehmerisch im Bereich Softwarentwicklung weiter. Er hat den Betrieb in Ausland verlagert und löst die Entstrickungsteuer aus. Zur Berechnung der Steuer musst du dem Finanzamt die Bewertung vorlegen.

2. Wegzugsbesteuerung (§ 6 AStG)

Mehr Informationen zur Wegzugsteuer

Für GmbH-Gesellschafter relevant – nicht für Einzelunternehmer. Wer mindestens zu 1% an einer Kapitalgesellschaft im In- oder Ausland beteiligt ist und in den letzten 12 Jahren 7 Jahre unbeschränkt steuerpflichtig war, muss die Wegzugsteuer beachten. Es spielt keine Rolle, ob der Betrieb der GmbH ins Ausland verlagert wird.

Beispiel: Cordula hält 5% an der Familien-GmbH und zieht in Ausland. Der Bertrieb der GmbH wird nicht ins Ausland verlagert. Die Wegzugsteuer wird fällig. Zur Berechnung der Steuer muss Cordula eine Bewertung der Gesellschaftsanteile vorlegen.

Was das Finanzamt erwartet

Du musst den gemeinen Wert deines Unternehmens zum Zeitpunkt des Wegzugs ermitteln – also den Preis, den ein unabhängiger Dritter theoretisch zahlen würde.

Das geht nur mit einer strukturierten und plausiblen Bewertung – ohne offizielle Gutachten, aber mit solider Dokumentation.

Bewertungsmethoden im Überblick

1. Vereinfachtes Ertragswertverfahren

Geeignet bei beratenden oder freiberuflichen Tätigkeiten ohne übertragbare Vermögenswerte.

Berechnung:

(durchschnittlicher Gewinn der letzten 3 Jahre – Unternehmerlohn) × 13,75 = Unternehmenswert

  • Der Multiplikator 13,75 ist gesetzlich festgelegt (§ 203 BewG)

  • Der Unternehmerlohn ist ein fiktives Gehalt, das du dir selbst als Geschäftsführer zahlen würdest.

  • Je höher der Unternehmerlohn, desto geringer der Überschuss – bis hin zu 0 €, wenn der gesamte Gewinn als Arbeitsleistung anzusehen ist.

2. Substanzwert

Wenn dein Unternehmen Vermögenswerte besitzt, kann der Substanzwert den Mindestwert darstellen – unabhängig vom Gewinn.

Typische Substanzwerte:

  • Bankguthaben

  • Lagerbestand

  • Forderungen

  • IP-Rechte (Software, Marke, Domains)

  • Technische Ausstattung

Der Substanzwert stellt regelmäßig die steuerlich relevante Untergrenze dar.

Drei zentrale Tipps zur Bewertung bei Wegzug

  1. Glaubhafte Dokumentation ist entscheidend
    Das Finanzamt verlangt keine offizielle Bewertung durch einen Gutachter – aber eine strukturierte, nachvollziehbare Herleitung des Werts. Ohne das kann es zu Schätzungen kommen, die deutlich zu hoch ausfallen.

  2. Bewertung rechtzeitig erstellen – nicht rückwirkend
    Die Bewertung sollte zeitnah zum Wegzug erstellt werden. Rückwirkend zusammengeschusterte Excel-Dateien werden von Finanzbeamten oder Richtern oft als wenig glaubwürdig eingestuft.

  3. Ertragswert nicht mit Substanzwert verwechseln
    Auch wenn der Gewinn niedrig ist, kann das Unternehmen durch sein Vermögen (z. B. Software, Marken, Lagerbestände) einen erheblichen Wert haben. Der Substanzwert setzt dann die Untergrenze – und muss ebenfalls dokumentiert werden.

Häufige Fehler – und wie du sie vermeidest

❌ 1. Unternehmerlohn wird nicht angesetzt

→ Führt zu unnötig hohem Ertragswert und hoher Steuer

❌ 2. Substanzwerte werden übersehen

→ Das Finanzamt berücksichtigt sie trotzdem – als Mindestwert

❌ 3. Bewertung wird zu spät oder gar nicht dokumentiert

→ Rückwirkende Erklärungen sind unglaubwürdig → Schätzrisiko

Beispiel: Einzelunternehmer mit 100.000 € Jahresgewinn

Angenommen:

  • Du bist Solo-Freiberufler (z. B. Entwickler, Designer)

  • Dein Gewinn lag drei Jahre lang konstant bei 100.000 €

  • Es gibt keine Mitarbeiter, kein Betriebsvermögen, keine Schutzrechte

A) Ohne Unternehmerlohn

100.000 € × 13,75 = 1.375.000 € Unternehmenswert

Dieser Betrag gilt steuerlich als fiktiver Veräußerungsgewinn.
Da Einzelunternehmer nicht unter das Teileinkünfteverfahren fallen, ist der gesamte Betrag steuerpflichtig.

Steuerlast:

  • Einkommensteuer bei 42 %: 577.500 €

  • Soli (5,5 % auf 577.500 €): 31.762,50 €

  • Gesamt: 609.262,50 € Steuer auf einen fiktiven Gewinn

B) Mit Unternehmerlohn von 100.000 €

Gewinn – Unternehmerlohn = 0 €
→ 0 € × 13,75 = 0 € Unternehmenswert
Keine Steuer fällig

Voraussetzung: Dein Unternehmerlohn ist glaubhaft belegt (z. B. über Gehaltsdaten, Branchenreports, IHK-Daten).

Was ist ein realistischer Unternehmerlohn?

Ein angemessener Unternehmerlohn hängt ab von:

  • Branche, Qualifikation und Tätigkeitsprofil

  • typischer Vergütung in vergleichbaren Angestelltenverhältnissen

  • Verantwortung und Umsatzvolumen

Ein Unternehmerlohn von 100.000 €–300.000 € jährlich kann in vielen Branchen realistisch sein – wenn sauber begründet und dokumentiert.

Sonderfall GmbH: Wegzug + Verlagerung = doppelte Besteuerung

Wenn du GmbH-Gesellschafter bist und nicht nur deinen Wohnsitz, sondern auch den operativen Betrieb der GmbH ins Ausland verlegst (z. B. weil du der einzige Geschäftsführer bist und die GmbH de facto nur durch dich existiert), dann greift eine Doppelbesteuerung:

  • Wegzugsbesteuerung (§ 6 AStG):
    Du als Privatperson musst einen fiktiven Gewinn aus der Veräußerung deiner GmbH-Anteile versteuern.

  • Entstrickungsbesteuerung (§ 12 KStG i. V. m. § 1 AStG):
    Die GmbH selbst verliert ihren steuerlichen Bezug zu Deutschland. Alle stillen Reserven (vor allem der Firmenwert) werden so behandelt, als wären sie realisiert worden – und sind auf Ebene der GmbH körperschaftsteuerpflichtig.

Merksatz: 👉 „Zieht die GmbH mit dir um, zahlt ihr beide.“

Beispiel: GmbH ohne Rücklagen, 100.000 € Gewinn

Annahmen:

  • Du besitzt 100 % einer GmbH

  • Stammkapital: 25.000 €, vollständig eingezahlt

  • Durchschnittlicher Jahresgewinn (letzte 3 Jahre): 100.000 €

  • Kein Betriebsvermögen, keine Rücklagen

  • Du verlegst deinen Wohnsitz und die GmbH ins Ausland

Variante A: Unternehmerlohn nicht berücksichtigt

Gesellschafterebene (Wegzugsbesteuerung)

Ertragswert: 100.000 € × 13,75 = 1.375.000 €
Fiktiver Veräußerungsgewinn (§ 17 EStG): 1.375.000 € – 25.000 € = 1.350.000 €
60 % steuerpflichtig: 810.000 €
Einkommensteuer (42 %): 340.200 €
Soli (5,5 %): 18.711 €
Gesamt: 358.911 €

Gesellschaftsebene (Entstrickung)

Firmenwert: 1.375.000 €
Körperschaftsteuer (15 %): 206.250 €
Soli (5,5 %): 11.343,75 €
Gesamt: 217.594 €

Gesamte Steuerlast: 576.505 € auf fiktiver Basis

Variante B: Unternehmerlohn von 100.000 € wird berücksichtigt

Wenn du belegst, dass deine persönliche Tätigkeit in der GmbH einem marktüblichen Geschäftsführerlohn von 100.000 € entspricht, ergibt sich:

Gesellschafterebene:

Überschuss = 0 €, da Unternehmerlohn den gesamten Gewinn aufzehrt
Ertragswert: 0 €, kein Veräußerungsgewinn
Keine Wegzugsbesteuerung

Gesellschaftsebene:

Da kein verbleibender Gewinn, kein kapitalisierbarer Firmenwert
Auch keine Entstrickungsbesteuerung

Gesamte Steuerlast:

  • Variante A (ohne Unternehmerlohn): 576.505 € auf fiktiver Basis

  • Variante B (mit Unternehmerlohn): 0 €, wenn sauber und glaubhaft dokumentiert

Wann ist ein externer Gutachter sinnvoll?

In vielen Fällen reicht eine nachvollziehbare, intern erstellte Dokumentation des Unternehmenswerts vollkommen aus. Es gibt jedoch Situationen, in denen ein externes Gutachten – etwa durch einen Wirtschaftsprüfer oder spezialisierten Bewertungsexperten – sinnvoll oder sogar notwendig sein kann:

  • Wenn dein Unternehmen komplexe Vermögenswerte wie Markenrechte, Software, Beteiligungen oder Immobilien hält

  • Wenn es in den letzten Jahren stark gewachsen ist oder sich Umstrukturierungen ergeben haben

  • Wenn du gegenüber einem besonders prüfungsfreudigen Finanzamt besonders „wasserdicht“ argumentieren willst

  • Wenn der Jahresgewinn bei über 350.000 € liegt und der Unternehmerlohn realistischerweise den Gewinn nicht mehr vollständig neutralisieren kann

  • Wenn das vereinfachte Ertragswertverfahren nicht mehr anwendbar ist, etwa weil das Unternehmen erhebliche stille Reserven oder immaterielle Vermögenswerte aufgebaut hat

Ein qualifiziertes Bewertungsgutachten bringt in solchen Fällen zusätzliche Sicherheit – sowohl im Rahmen der Wegzugs- als auch der Entstrickungsbesteuerung. Es dient als objektive Drittmeinung und reduziert das Risiko einer Schätzung durch das Finanzamt erheblich.

In 99 % der Fälle akzeptiert das Finanzamt externe Bewertungen ohne Rückfragen. Du vermeidest Diskussionen – und damit Risiken.

Allerdings hat diese Sicherheit ihren Preis: Für ein professionelles Unternehmensbewertungsgutachten musst du typischerweise mit Kosten von 15.000 € bis 25.000 € rechnen – abhängig vom Umfang und der Komplexität des Unternehmens. rechnen – abhängig vom Umfang und der Komplexität des Unternehmens.

Fazit

Ob du GmbH-Anteile besitzt oder dein Einzelunternehmen ins Ausland verlegst:
Eine glaubhaft dokumentierte Unternehmensbewertung ist entscheidend, um unnötige Steuerlast bei der Auswanderung zu vermeiden.

  • Die Bewertung muss nicht teuer sein – aber gut begründet

  • Wer sauber dokumentiert, schützt sich vor späteren Schätzungen

  • Wer rechtzeitig plant, kann unter Umständen sogar völlig steuerfrei auswandern

Empfehlung: Bewertung vor Auswanderung erstellen, Unternehmerlohn glaubhaft dokumentieren, Substanzwerte prüfen und steuerlich optimieren

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